“Transatlantic Trade and Investment Partnership”

 Freihandel, Neoliberalismus und Demokratie

Die geheimen Verhandlungen zwischen EU und USA zu einem ausgeweiteten Freihandelsabkommen, dem “Transatlantic Trade and Investment Partnership” (TTIP), haben in den letzten Wochen ein großes Medienecho gefunden. Insbesondere die sogenannten “Investorenschutzklauseln” stießen auf hinreichend massive Kritik von Nichtregierungsorganisationen, dass sich die EU-Kommission nun gezwungen sah, die entsprechenden Klauseln einer öffentlichen Diskussion zugänglich zu machen (siehe http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-01/eu-usa-freihandelsabkommen-gespraeche-teilweise-ausgesetzt, http://derstandard.at/1389857773065/Stop-and-Go-bei-EU-Freihandelspakt-mit-USA).

In diesem Zusammenhang möchte ich zwei Punkte diskutieren: Erstens, was sagt die ökonomische Theorie tatsächlich zu den Auswirkungen von Freihandel? Und zweitens, was können wir aus den Diskussionen um TTIP über das Verhältnis von Neoliberalismus und Demokratie lernen?

Freihandel – profitieren wirklich alle?

Es ist erstaunlich, wie verbreitet das Argument ist, dass vom Freihandel alle profitieren – sowohl unter ÖkonomInnen wie auch in der öffentlichen Diskussion. Tatsächlich gibt es nichts in der ökonomischen Theorie, das diesen Schluss zulassen würde. Das am häufigsten angeführte Argument für diese Behauptung ist die Theorie des “komparativen Vorteils”, die im allgemeinen David Ricardo zugeschrieben wird.1 Ricardos Argument, wie auch seine moderneren Reinkarnationen, wären jedoch nur dann korrekt, wenn jedes Land aus lauter identischen Menschen bestünde Sobald es Unterschiede zwischen Menschen gibt – z.B. hinsichtlich dessen, in welchen Wirtschaftssektoren sie arbeiten – erzeugt Freihandel GewinnerInnen und VerliererInnen.

Betrachten wir den (durchaus realistischen) Fall eines Landes im globalen Süden, in dem es ReisbäuerInnen am Land gibt und eine Stadtbevölkerung, deren Hauptnahrungsmittel Reis ist. Nehmen wir an, dass dieses Land ursprünglich Handelsbarrieren gegen den Import von Reis hat und dann beschliesst, diese Barrieren zu reduzieren. In der Folge fällt der Preis von Reis; die Landbevölkerung verliert ihren Lebensunterhalt, während die Stadtbevölkerung geringere Lebenshaltungskosten hat. Wie die Handelsöffnung zu bewerten ist, hängt davon ab, wie wir die Gewinne und Verluste verschiedener Gruppen gegeneinander aufwiegen.

(Dieses Beispiel ist tatsächlich auch ähnlich dem historischen Kontext, in dem Ricardo für Freihandel argumentiert hat; er war Lobbyist für die Abschaffung der sogenannten “corn laws”, gegen die Opposition ländlicher Großgrundbesitzer und mit Unterstützung städtischer Kapitalbesitzer, die sich niedrigere Löhne bei niedrigeren Lebenshaltungskosten erwarteten).

Aus diesem Argument ist natürlich auch nicht zu schließen, dass Handel prinzipiell abzulehnen ist; es ist aber daraus zu schließen, dass wir uns die Auswirkungen von Freihandelsabkommen von Fall zu Fall genau ansehen sollten.

Freihandel und politische Souveränität

Nun zum zweiten Argument: Was ist die Auswirkung von Freihandelsabkommen auf die Handlungsspielräume demokratischer Politik? Solche Abkommen schränken politische Handlungsspielräume durch zwei Mechanismen ein: erstens durch Standortwettbewerb und zweitens durch die Möglichkeit, dass Staaten vor (internationalen) Schiedsgerichten verklagt werden.

Freihandelsabkommen vereinfachen es, Güter und Kapital zwischen Ländern zu verschieben.

Standortwettbewerb beruht darauf, dass Maßnahmen, die Profite beeinträchtigen (z.B. Steuern, Sozial- und Umweltstandards, Mindestlöhne), zur Verschiebung von Kapital ins Ausland führen können Freihandelsabkommen erhöhen den Druck auf Staaten, hohe Profite zu garantieren, um Kapitalflucht zu verhindern. Dies geschieht auf Kosten von steuerlicher Umverteilung, Sozial- und Umweltstandards, Mindestlöhnen, etc. So wird die demokratische Souveränität durch Marktmechanismen eingeschränkt.

Internationale Koordination, etwa durch Bildung supranationaler Institutionen wie der EU, wäre eine Möglichkeit, solchem Standortwettbewerb entgegenzuwirken. Die EU hat allerdings bis heute keine Anstalten gemacht, das auch tatsächlich zu tun.

Die Einklagbarkeit von Handelsabkommen bedeutet, dass Unternehmen, deren Profite durch staatliche

Investorenschutzklauseln, wie sie Teil des TTIP werden sollen, garantieren Unternehmen, dass ihre Profiterwartungungen zum Zeitpunkt der Investition erfüllt werden müssen. Wenn etwa zu einem späteren Zeitpunkt die Mindestlöhne erhöht werden und das die Profite reduziert, dann kann das Unternehmen den Staat verklagen. So wird die demokratische Souveränität direkt durch juristische Mechanismen eingeschränkt.

Neoliberalismus und Demokratie

Die Einschränkung demokratischer Souveränität durch solche Abkommen ist durchaus keine „unerwünschte Nebenwirkung", die als Preis für die ökonomischen Vorteile des Freihandels in Kauf genommen wird. Sie ist – aus der Sicht vieler beteiligter AkteurInnen – vielmehr eines der Ziele solcher Abkommen.

Es gibt eine tiefe Affinität von Neoliberalismus und Demokratiefeindlichkeit, sow2ohl ideologisch als auch realpolitisch. Das beginnt mit den Vordenkern des Neoliberalismus, Friedrich August von Hayek und Milton Friedman. Hayek argumentierte, dass die wirtschafts- und sozialpolitischen Möglichkeiten des Staates eingeschränkt werden müssen, um eine Eskalation demokratischer Forderungen zu verhindern. Eines der Mittel, die er zu diesem Zweck vorschlug, war die Schaffung internationaler Verträge und supranationaler Institutionen, die denen der heutigen EU erstaunlich ähnlich sehen. Ähnlich argumentierte Milton Friedman, der für die Abschaffung demokratischer Kontrolle über Felder wie Geldpolitik (Stichwort unabhängige Zentralbanken) und Bildungspolitik (Stichwort Privatisierung von Schulen) kämpfte. Friedman diente auch berüchtigterweise als Berater des chilenischen Diktators Pinochet, der durch einen gewaltsamen Putsch gegen den demokratisch gewählten Sozialisten Allende an die Macht kam und Chile in den Paradefall eines neoliberalen Experiments verwandelte.

Zentralbanken, wie die amerikanische in den frühen 1980er Jahren oder die EZB bis heute, wurden, den Empfehlungen Friedmans entsprechend, zunehmend unabhängig von demokratischer Einflussnahmen gemacht, um allein dem Ziel der Preisstabilität zu dienen und nur private Banken (anstatt der öffentlichen Haushalte) mit billigen Krediten zu bedienen.

Den vielleicht deutlichsten Fall des Konflikts zwischen Neoliberalismus und Demokratie bilden die Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds der 1980er und 90er Jahre und die Auflagen der EU für die Länder Südeuropas im Zuge der Eurokrise der letzten Jahre. In beiden Fällen wurde und wird die Notlage eines Landes (Wirtschaftskrise, öffentliche Schulden) genutzt, um neoliberale Ziele (Privatisierungen, Schrumpfung des Sozialstaats, Handelsöffnung) gegen den Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung durchzusetzen. Diese Ziele gingen im Übrigen weit darüber hinaus, die Kreditrückzahlung sicherzustellen.

Ähnlich verhält es sich mit den Bankenrettungen in Folge der 2008 begonnenen Wirtschaftskrise – ohne öffentliche Diskussion (und dieser absichtlich aus dem Weg gehend) wurden schnell und nahezu geheim gigantische Summen aus öffentlichen Haushalten mobilisiert und an Banken transferiert.

Zu guter Letzt: Freihandelsabkommen wie das TTIP werden unter explizitem Ausschluss der Öffentlichkeit – und damit ohne demokratische Kontrolle verhandelt. Kernpunkt ist die Einschränkung der Möglichkeit von Staaten, Maßnahmen wie VerbraucherInnenschutz, Mindestlöhne oder Umweltschutzgesetze zu beschließen, wenn diese die Profite getätigter Investitionen beeinträchtigen.

Wie schon eingangs erwähnt, wird jetzt aufgrund großen Drucks von NGOs und Gewerkschaften zumindest der Punkt der Investorenschutzklauseln einer öffentlichen Diskussion zugänglich gemacht. Jetzt heißt es, diesen Druck aufrechtzuerhalten.

1 Die Theorie des komparativen Vorteils besagt, dass vom Freihandel zwischen zwei Ländern beide Länder profitieren, weil sie sich auf die Herstellung jener Güter spezialisieren, für die die relativen Produktionskosten jeweils niedriger sind. Ein Beispiel: Land A kann in einer Stunde 1 Tonne Reis und 3 Tonnen Weintrauben herstellen. Land B kann in einer Stunde 10 Tonnen Reis und 20 Tonnen Weintrauben herstellen. Die relativen Produktionskosten für Reis sind in Land A niedriger – darum profitieren beide Länder, wenn A von B Weintrauben kauft und B von A Reis.

2 Es ist ein beliebter rhetorischer Griff in politischen Debatten, der Gegenseite undemokratisches Verhalten zu unterstellen. Beliebt ist insbesondere seit Zeiten des kalten Krieges die Behauptung, dass Demokratie und Kapitalismus sich gegenseitig bedingen würden. Es ist auch schwer zu behaupten, dass die kommunistischen Länder Osteuropas Vorzeigebeispiele demokratischer Regime gewesen wären. Die folgenden Beispiele machen aber hoffentlich plausibel, dass die Verbindung von Neoliberalismus und Demokratiefeindlichkeit weit mehr ist als eine polemische Unterstellung.