Stereotype verbauen Frauen den Weg

Rollenmuster verhindern teilweise, dass Führungspositionen durch die dafür geeignetsten Personen besetzt werden. Von Firmen gesetzte Quotenziele können dazu beitragen, den Frauenanteil zu erhöhen.

Nicole Rütti, Natalie Gratwohl
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Laut Bundesrätin Sommaruga führt die Selbstregulierung bei der Beschäftigung von Frauen nicht zum Ziel. (Bild: Peter Schneider / Keystone)

Laut Bundesrätin Sommaruga führt die Selbstregulierung bei der Beschäftigung von Frauen nicht zum Ziel. (Bild: Peter Schneider / Keystone)

Die vom Bundesrat geforderte Frauenquote von 30% löst mancherorts Entrüstung aus: Quoten sind nämlich ein starker Eingriff in die unternehmerische Freiheit. Auch viele Frauen in der Wirtschaft sprechen sich gegen eine staatliche Quote aus. Laut Annabella Bassler, Finanzchefin von Ringier, bewirkt sie keine Gleichstellung von Frauen und Männern im Arbeitsalltag. Entscheidend sollte die Leistung sein und nicht das Geschlecht. Die Verantwortung hierfür liege aber bei den Firmen.

Konsternation bis Ablehnung

Unbestritten ist allerdings, dass Appelle an die Adresse von Unternehmen, auf freiwilliger Basis Frauen zu fördern, bisher wenig gebracht haben. Selbst bei bisherigen Gegnerinnen von Quotenregelungen wächst die Konsternation. Antoinette Hunziker-Ebneter, Mitinhaberin und Leiterin der Forma Futura Invest und frühere Chefin der SIX Group, war ursprünglich gegen Quoten, «weil ich ein liberaler Mensch bin». Doch in ihrer 30-jährigen Tätigkeit habe sich definitiv zu wenig getan. Heute ist Hunziker-Ebneter, die mit ihrem Unternehmen Frauen in Führungspositionen fördert und im Beirat von Get Diversity sitzt, für eine auf 5 Jahre befristete Frauenquote von 30% für Verwaltungsräte von kotierten Unternehmen, die drei Jahre nach Ankündigung eingeführt wird. Die sogenannten Quoten-Frauen könnten im Laufe der Zeit beweisen, dass sie keine seien, sagt sie.

Auch Firmenchefinnen wie Gabriela Manser, Leiterin der Mineralquelle Gontenbad, oder Inga Beale, CEO von Lloyds, befürworten Quotenregelungen. Beale, erste Frau an der Spitze des 325-jährigen Unternehmens, will Lloyds zu einem Vorzeigeunternehmen in Sachen Diversität machen. Beale sieht die Quote als eine Art «Kickstart». Andernfalls werde sich nicht so schnell etwas ändern. Je länger sie beobachte, dass sich an der Spitze der Unternehmen nichts verbessere, umso wichtiger erachte sie proaktives Handeln – eine Quote sei in diesem Zusammenhang aber nur eines von vielen Mitteln.

Gemäss Schillingreport liegt der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen von über 100 untersuchten Unternehmen bei mageren 6%. Er hat sich damit seit 2006 (4%) marginal erhöht. Verwaltungsräte haben einen Frauenanteil von 13% (2010: 10%). Mit den unterschiedlichen Qualifikationen und schlechteren Ausbildungen alleine lässt sich dies kaum mehr erklären. Mittlerweile schliessen prozentual mehr Frauen ein Hochschulstudium ab als Männer (siehe Grafik). Dabei wählen junge Frauen zwar seltener als Männer technische Berufe und Studiengänge wie etwa Technik, IT oder Wirtschaftswissenschaften, die für Führungsfunktionen geeignet erscheinen. Dieser Umstand begründet die markante Untervertretung von Frauen in Führungspositionen aber nur teilweise.

Produktivere Teams

Gleichzeitig deuten aber die meisten wissenschaftlichen Untersuchungen darauf hin, dass gemischte Teams bessere Entscheidungen produzieren. Die Schlussfolgerung, dass das vorhandene Humanpotenzial von der Wirtschaft nicht ausgeschöpft wird, liegt auf der Hand. Und so existieren in den USA bereits Fonds, die bewusst auf Firmen setzen, die sich durch hohe Frauenanteile im Verwaltungsrat und Management auszeichnen. Man könnte deshalb ableiten, dass Unternehmer den Wert von weiblichen Führungskräften längerfristig erkennen und vermehrt auf sie setzen werden. Doch weshalb tun sich Arbeitgeber so schwer damit, Frauen zu fördern? Und weshalb scheuen diese im Berufsalltag davor zurück, die Kaderstufe zu erklimmen?

Erklärungsansätze hierfür liefert die Verhaltensökonomie. Im Urteil von Iris Bohnet , Wirtschaftsprofessorin an der Harvard-Universität und Verwaltungsrätin der Credit Suisse, lässt sich die sogenannte Diskriminierung von Frauen unter anderem mit den in den Köpfen verankerten Stereotypen erklären, die unsere täglichen Entscheidungen steuern. Diese sorgten nämlich dafür, dass wir gewisse Berufe mit dem weiblichen und andere wiederum mit dem männlichen Geschlecht assoziierten. Diese Vorstellung führt laut Bohnet dazu, dass wir automatisch eine Kindergärtnerin statt eines Kindergärtners und eher einen männlichen CEO als eine weibliche Geschäftsführerin erwarten.

Ein Exkurs in die Musikwelt veranschaulicht derweil, wie tief verwurzelt solche Verhaltensmuster sind und welche Verfahren helfen könnten, beispielsweise bei Rekrutierungen fachliche Kompetenzen in den Vordergrund zu rücken. Wie Bohnet ausführt, sahen sich Orchester in den 1990er Jahren mit einem starken Mangel an Musikerinnen konfrontiert. Viele renommierte Orchester hätten deshalb ihre Auswahlverfahren bei der Rekrutierung angepasst. Sie liessen ihre Anwärter hinter einem Vorhang vorspielen. Beabsichtigt wurde damit, dass die Auswählenden sich alleine auf die fachlichen Qualifikation fokussierten und die besten Musiker auswählten. Innert kürzester Frist wurden dadurch deutlich mehr Musikerinnen engagiert.

Auch Margit Osterloh , emeritierte Professorin an der Universität Zürich und Senior-Professorin der Zeppelin University Friedrichshafen, begründet die schwache Vertretung von Frauen mit geschlechtsspezifischen Stereotypen, die das Verhalten sowohl von Frauen als auch von Männern beeinflussen. Um dieses Verhaltensmuster zu durchbrechen, hält sie flexible Quoten für ein probates Mittel. Darunter versteht sie beispielsweise die schrittweise Erhöhung des Frauenanteils von 30% auf 40% in bestimmten Zeitabschnitten bis zur Parität.

Norwegen schreckt ab

Obwohl sich Iris Bohnet im Gegensatz dazu nicht direkt für Quoten ausspricht, hält auch sie solche Massnahmen für ein effektives Instrument. Denn innerhalb kurzer Frist würde damit das Problem der Stereotype abgeschwächt oder beseitigt. Ebenso verweist sie aber auch auf die möglicherweise anfallenden volkswirtschaftlichen Kosten. Dies veranschaulicht das Beispiel Norwegen, das 2003 für Verwaltungsräte eine gesetzliche Frauenquote von 40% einführte. Die Wissenschafter Kenneth R. Ahern und Amy K. Dittmar diagnostizierten nicht nur eine negative Börsenreaktion nach Ankündigung des Gesetzes, sondern auch schlechtere operative Leistungen und Bewertungen in den folgenden Jahren. Sie erklärten dies damit, dass die Frauenquote in den Verwaltungsräten zu durchschnittlich jüngeren und weniger erfahrenen Mitgliedern führte. Nachteilig dürfte sich dabei nicht zuletzt die kurze Übergangsfrist von fünf Jahren ausgewirkt haben. Ernüchternd ist auch der Umstand, dass die staatlich verordnete Quote Norwegens im Verwaltungsrat kaum zu einer Erhöhung des Frauenanteils auf den übrigen Führungsebenen geführt hat. Dies spricht dafür, dass Quoten auf höchster Unternehmensstufe alleine für einen grundlegenden Wandel nicht ausreichen. Allerdings räumen Ahern und Dittmar ein, dass es noch zu früh sein dürfte, um die langfristige Wirkung abzuschätzen.

Zu einem anderen Schluss gelangt demgegenüber eine weltweite Studie des Credit Suisse Research Institute. Gestützt auf die Entwicklung von 2360 Unternehmen, zeigen die Autoren auf, dass die Performance von Firmen mit weiblichen Verwaltungsratsmitgliedern im Untersuchungszeitraum 2005 bis 2011 und vor allem während der Finanzkrise derjenigen von Betrieben ohne Frauenvertretung überlegen war. Die Resultate werden dahingehend erklärt, dass Frauen eher konservativ investieren und risikoscheuer sind, was sich in einem Umfeld wie der Finanzkrise auszahlen kann.

Bei der Interpretation von Studien ist Vorsicht angesagt. Bei aufgezeigten Korrelationen können nämlich «Ursache» und «Wirkung» beispielsweise umgekehrt gekoppelt sein. So könnte es durchaus sein, dass Gesellschaften, die ohnehin gut geführt sind, aus Gründen der Corporate Governance tendenziell mehr Frauen im Verwaltungsrat aufnehmen. Die verfügbaren Daten und Erhebungen sprechen gleichwohl deutlich dafür, dass Unternehmen von einer verstärkten Aufnahme von Frauen in Führungspositionen profitieren dürften.

Ohne Wenn und Aber stellen staatlich verordnete Quoten nicht nur einen Eingriff in die Freiheit der Unternehmen dar, sondern sie sind auch mit negativen Begleiterscheinungen verbunden. Laut Karl Hofstetter, der den Grundlagenbericht zur Revision des Swiss Code of Best Practice im Auftrag von Economiesuisse erstellt hat, könnten Verwaltungsräte geschwächt werden, falls innert kurzer Zeit zu viele Mitglieder eines Geschlechts auf den Schild gehoben werden müssten. Norwegen könnte diesbezüglich ein Vorgeschmack sein. Dieser Effekt hängt jedoch stark von der Ausgestaltung der Quoten – wie zum Beispiel der Länge der Übergangsfristen – ab. Möglicherweise führen solche Massnahmen ausserdem zur Diskriminierung gut qualifizierter Männer.

Argumentiert wird häufig auch, dass mit der Einführung einer Frauenquote wohl mehrere hundert neue Verwaltungsrätinnen gefunden werden müssten und es dafür nicht genügend qualifizierte Frauen gäbe. Dem widerspricht Headhunterin Doris Aebi. Wer richtig suche, finde fähige Frauen. Es brauche im Verwaltungsrat auch spezifische Fachkenntnisse, etwa im Bereich Personal, Recht und Finanzen. Diese Posten seien problemlos mit Frauen zu besetzen. Zudem gelte es, von der Vorstellung abzurücken, dass ein Verwaltungsrat ein früherer Firmenchef sein müsse.

Freiwilliges Quotenziel

Aus liberaler Sicht wäre zweifelsfrei die beste Lösung, wenn Unternehmen auf freiwilliger Basis Quotenziele erarbeiten würden. Für diesen Weg sprach sich jüngst auch Economiesuisse in seinen neuen Leitplanken (Kodex) über die Führungsregeln von Publikumsgesellschaften aus. Unter dem Motto «Befolgen oder erklären», empfiehlt der Dachverband, dass dem Verwaltungsrat in Zukunft sowohl männliche als auch weibliche Mitglieder angehören sollen. Es handelt sich hierbei zwar um eine Mini-Quote von einer Verwaltungsrätin. Im Urteil von Osterloh müssten mindestens zwei – viele empirische Untersuchungen sprächen von mindestens drei – Frauen im Verwaltungsrat sein. Erst dann befänden sie sich nicht länger in der schwierigen Situation, keine Fehler machen zu dürfen oder ständig in Stereotype gepresst zu werden.

Ermunternd ist aber, dass beispielsweise Finnland, das ebenfalls auf freiwillige Vorgaben setzt, in den Verwaltungsräten immerhin einen Frauenanteil von rund 30% erreicht hat. Allerdings geht das nordeuropäische Land mit seinen Richtlinien deutlich weiter. So müssen die dortigen Verwaltungsräte, Vorstände und andere Führungsgremien zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen bestehen, es sei denn, es gebe gewichtige Gründe, die dagegen sprächen. Für eine ähnliche Begründungspflicht für grosse börsenkotierte Gesellschaften hat sich nun auch der Schweizer Bundesrat entschieden.

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